01. Juli 2025
4 Min.

Der schmale Grat der Verantwortlichkeit: BGH zur faktischen Geschäftsführung bei insolvenzreifen Unternehmen

Waschzettel

  • Bei Insolvenzdelikten sind nur Mitglieder (auch faktische) des Vertretungsorgans als Täter in Betracht zu ziehen.

  • „Faktische Organstellung“ setzt die tatsächliche Übernahme typischer Geschäftsführungsaufgaben voraus; ein reines Abarbeiten von Kriterienkatalogen ist rechtlich unpräzise.

  • Ein Auftreten „nach außen“ ist nicht zwingend, wenn das Unternehmen keine werbende Aktivität mehr ausübt (z.B. bei sog. Firmenbestattungen).

  • Das Urteil betont die Notwendigkeit einer Gesamtbetrachtung sämtlicher Umstände zur Feststellung faktischer Geschäftsführung.
     



Text

Das vorliegende Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 27. Februar 2025 (Az.: 5 StR 287/24) nimmt ausführlich zur sogenannten faktischen Geschäftsführung bei insolvenzreifen Unternehmen Stellung. Im Kern geht es um die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Person, die nicht formell zum Geschäftsführer bestellt ist, dennoch als „faktisches Organ“ haftbar gemacht werden kann. Dabei rückt der BGH von einer schematischen Prüfung einzelner Kriterien ab und fordert eine Gesamtschau aller konkreten Unternehmensumstände.

Besondere Relevanz erhält das Urteil bei sog. „Firmenbestattungen“, also Situationen, in denen ein Unternehmen ohnehin kaum noch werbend am Markt tätig ist und stattdessen gezielt Vermögenswerte zur Last der Gläubiger beiseitegeschafft werden sollen. Der BGH stellt klar, dass hierbei ein Außenauftritt als Geschäftsführer nicht zwingend erforderlich ist. Entscheidend sei vielmehr, ob eine Person tatsächlich die Alleinverantwortung für Organpflichten übernehme und so den eigentlichen Geschäftsführer nur als unwissenden Strohmann vorschiebe.

 

Sachverhalt

Der Angeklagte hatte mehrfach zahlungsunfähige Gesellschaften erworben bzw. für deren Anteile gesorgt. Anschließend setzte er jeweils einen geschäftsunerfahrenen Strohmann als formellen Geschäftsführer ein, während er wesentliche Geschäftstätigkeiten, insbesondere die Verfügung über Unternehmensvermögen, eigenständig lenkte.

Obwohl der Angeklagte strafrechtlich nur als Gehilfe verurteilt worden war, geht der BGH davon aus, dass er womöglich selbst Täter der Insolvenzdelikte war. Denn nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Strohmann keinerlei Entscheidungskompetenz und handelte nur auf Weisung des Angeklagten. Dennoch verneinte das Landgericht eine faktische Organstellung, weil es an einem typischen Außenauftritt als Geschäftsführer fehlte und nicht sämtliche „Kernmerkmale“ (z.B. Personalentscheidungen) erfüllt waren.

 

Entscheidung

Eine Täterschaft bei Insolvenzverschleppung oder Bankrott setzt voraus, dass die betreffende Person Organpflichten tatsächlich ausübt. Formale Bestellungen sind nicht allein entscheidend.

Die starre Anwendung eines Kriterienkatalogs (z.B. wie viele „klassische“ Geschäftsführungsaufgaben erfüllt wurden) ist unzureichend.

Bei stillgelegten Unternehmen oder „Firmenbestattungen“ kann die Übernahme von entscheidenden Aufgaben zur Vermögensverwertung bereits genügen, um als faktisches Organ zu gelten.

Auch ohne öffentliches Auftreten kann jemand faktisch die Rolle des Geschäftsführers innehaben, wenn er die eigentlichen Befugnisse (etwa das Bestimmen von Vermögensverfügungen oder das Unterlassen der Insolvenzantragstellung) an sich zieht.

Der BGH hob das Urteil hinsichtlich der Verurteilung wegen Beihilfe auf und verwies die Sache an eine andere Strafkammer zurück. Das Landgericht muss nun genauer klären, ob der Angeklagte tatsächlich alle Entscheidungsmöglichkeiten und Informationen hatte, um als faktischer Geschäftsführer zu gelten.

 

Fazit

Der BGH betont mit diesem Urteil die Bedeutung der Gesamtschau zur Bestimmung einer faktischen Geschäftsführung. Gerade bei stillgelegten oder ausschließlich zur „Firmenbestattung“ genutzten Gesellschaften ist ein nach außen erkennbares Agieren nicht notwendige Bedingung, um strafrechtlich voll verantwortlich zu sein.

Diese Entscheidung hat erhebliche Praxisrelevanz: Wer in einer maroden Gesellschaft alle wesentlichen Rechte und Pflichten übernimmt, kann sich der Insolvenzverschleppung oder des Bankrotts schuldig machen, auch wenn er keinen offiziellen Geschäftsführerposten bekleidet (§§ 14 Abs. 1 Nr. 1, 283 Abs. 1 StGB, 15a Abs. 4 Nr. 1, Abs. 1 InsO). Somit schärft der BGH das Bewusstsein dafür, dass sämtliche Details zum internen und externen Auftreten kritisch zu prüfen sind, bevor eine bloße Beihilfe unterstellt wird.

Nicole Baumgärtel

Ihre Ansprechpartnerin

Nicole Baumgärtel

Rechtsanwältin, Fachanwältin für Strafrecht, Mediatorin

+49 511 95745752 Nicole.Baumgaertel@awado-rag.de