Genossenschaftsrecht 2.0: Der Referentenentwurf zur Stärkung der genossenschaftlichen Rechtsform
Genossenschaftsrecht
Auf einen Blick
Förderung der Digitalisierung: Umfassende Verankerung der Textform und Erleichterung digitaler Sitzungen und Beschlussfassungen für alle Genossenschaftsorgane.
Steigerung der Attraktivität: Beschleunigung des Gründungsprozesses und Berücksichtigung praxisrelevanter Regelungs- und Klarstellungswünsche.
Verhinderung von Missbrauch: Gezielte Maßnahmen gegen unseriöse Genossenschaftsmodelle, insbesondere im Bereich der reinen Kapitalanlage.
Stärkung der Aufsicht: Ausweitung der Rechte und Pflichten der genossenschaftlichen Prüfungsverbände sowie der staatlichen Aufsicht.
Der aktuelle Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz zielt darauf ab, das Genossenschaftsrecht umfassend zu modernisieren. Die wesentlichen Punkte lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Die Genossenschaft der Zukunft: Vision oder verpasste Chance?
Das Genossenschaftsrecht soll fit gemacht werden für das 21. Jahrhundert – so lautet das erklärte Ziel des Referentenentwurfs des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz. Dieser Entwurf knüpft an frühere Gesetzgebungsarbeiten an, deren wesentliche Teile, insbesondere die Abschaffung der meisten Schriftformerfordernisse zugunsten der Textform, bereits mit dem Vierten Bürokratieentlastungsgesetz (BEG IV) zum 1. Januar 2025 in Kraft gesetzt wurden. Nun soll der nächste Schritt folgen, um die bewährte Rechtsform der Genossenschaft für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu rüsten, ohne dabei ihre Grundprinzipien zu verwässern.
Doch hält dieser ambitionierte Plan, was er verspricht? Oder bleiben wichtige Fragen unbeantwortet und Chancen ungenutzt, die für eine wirklich zukunftsfähige Genossenschaftsform unerlässlich wären? Wir werfen einen kritischen Blick auf die Details und fragen uns, ob hier tatsächlich ein großer Wurf gelungen ist oder ob der Gesetzgeber an einigen Stellen die Realität der genossenschaftlichen Praxis verkannt hat.
Der Referentenentwurf im Fokus
Am 25. Juni 2025 übersandte das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) einen Referentenentwurf für ein „Gesetz zur Stärkung der genossenschaftlichen Rechtsform" an beteiligte Kreise und Verbände. Der Entwurf, der sich an die Modernisierungsziele des aktuellen Koalitionsvertrags anlehnt, befindet sich noch in der Abstimmungsphase innerhalb der Bundesregierung; die Frist zur Stellungnahme endet am 30. Juli 2025.
Die wesentlichen Punkte des Referentenentwurfs lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Die digitale Transformation der Genossenschaft: Ein Paradigmenwechsel?
Der Referentenentwurf beabsichtigt, die Digitalisierung im Genossenschaftswesen deutlich voranzutreiben. Für zahlreiche Erklärungen und Mitteilungen soll künftig die Textform ausreichen. So ist vorgesehen, dass etwa die Benachrichtigung über die Eintragung in die Mitgliederliste (§ 15 GenG-E) oder das Protokoll der Generalversammlung (§ 47 GenG-E) in Textform erfolgen können, was eine rein digitale Abwicklung vieler Prozesse ermöglichen würde.
Darüber hinaus soll klargestellt werden, dass Sitzungen von Vorstand und Aufsichtsrat sowie Gründungsversammlungen als virtuelle, hybride oder gestreckte Versammlungen durchgeführt werden können (§ 9 Abs. 5, § 4a Abs. 2 GenG-E). Die elektronische Übermittlung von Unterlagen an Mitglieder soll erleichtert werden, beispielsweise bei Umwandlungsvorgängen (§§ 82, 260 UmwG-E).
Auch die Einsichtnahme in die Mitgliederliste durch Mitglieder soll digitalisiert werden, inklusive der Möglichkeit, E-Mail-Adressen für die Ausübung von Minderheitenrechten zu erhalten (§ 31 GenG-E) – wobei die praktische Durchsetzbarkeit der vorgesehenen Löschpflicht für empfangende Mitglieder durchaus fraglich erscheint.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die geplante Möglichkeit, elektronische Wahlen für Vertreterversammlungen in der Satzung oder Wahlordnung vorzusehen oder zuzulassen (§ 43a Abs. 5 GenG-E).
Attraktivitätsoffensive für die Genossenschaft als Rechtsform
Um die Genossenschaft als Rechtsform attraktiver zu gestalten, plant der Referentenentwurf eine Reihe von Maßnahmen, die den Gründungsprozess beschleunigen und die Handhabung im Alltag erleichtern sollen.
Eine Datenbank über Prüfungsverbände soll die Suche nach einem passenden Verband erleichtern. Die gutachtliche Äußerung des Prüfungsverbandes soll standardisiert werden, um die Prüfung durch das Registergericht zu beschleunigen (§ 11 Abs. 5 GenG-E) – wobei diese neue Verordnungsermächtigung durchaus das Risiko birgt, statt Bürokratieentlastung eine weitere Regulierungsebene zu schaffen. Zudem ist eine Regelfrist von 20 Werktagen für die Eintragung im Genossenschaftsregister vorgesehen (§ 27 GenRegV-E).
Die Definition des Förderzwecks soll präzisiert werden, um Rechtssicherheit für Energiegenossenschaften zu schaffen (§ 1 Abs. 1 GenG-E). Regelungen zu investierenden Mitgliedern sollen nachgeschärft werden, inklusive der Möglichkeit, Arbeitnehmer als solche aufzunehmen (§ 8b, § 15c GenG-E).
Besonders praxisrelevant ist die geplante Möglichkeit zum Ruhen der Vorstandstätigkeit bei Mutterschutz, Elternzeit, Pflege oder Krankheit (§ 24 Abs. 4 GenG-E).
Die Grenze für die Weisungsgebundenheit des Vorstands durch die Generalversammlung soll von 20 auf 1.500 Mitglieder angehoben werden (§ 27 Abs. 1 GenG-E) – eine Maßnahme, die durchaus haftungsrechtliche Fragen aufwirft und möglicherweise Wachstumsanreize konterkarieren könnte.
Zur Klarstellung der Mindestmitgliederzahl soll geregelt werden, dass juristische Personen oder rechtsfähige Personengesellschaften bei der Feststellung der Mindestmitgliederzahl nicht berücksichtigt werden, soweit deren Vertreter identisch sind oder wenn diese selbst Mitglieder der Genossenschaft sind (§ 4 GenG-E).
Weitere Maßnahmen umfassen die geplante Anhebung der Schwellenwerte für die Befreiung von der Jahresabschlussprüfung (§ 53 Abs. 2 GenG-E), die Regelung der Inanspruchnahme von Dienstleistungen durch Prüfungsverbände (§ 62a GenG-E) und die Erhöhung des Höchstbetrags für insolvenzfestes Geschäftsguthaben bei Wohnungsgenossenschaften von 2.000 auf 3.000 Euro (§ 67c GenG-E).
Schutzschild gegen Missbrauch der Genossenschaftsform
Ein besonderes Anliegen des Referentenentwurfs ist der Schutz der Genossenschaftsform vor Missbrauch. Hierzu sind mehrere Maßnahmen vorgesehen, die unseriöse Geschäftsmodelle erschweren sollen.
Es soll klargestellt werden, dass die bloße gemeinschaftliche Vermögensanlage keinen zulässigen Förderzweck darstellt und die Vorratsgründung einer Genossenschaft unzulässig ist (§ 1 Abs. 3 GenG-E). Prüfungsverbände sollen in ihren Gutachten ausdrücklich zum Förderzweck Stellung nehmen müssen.
Ihre Rechte zur Einberufung außerordentlicher Generalversammlungen und zur direkten Information der Mitglieder bei Mängeln oder unzulässigem Förderzweck sollen erweitert werden (§ 60 GenG-E). Bei Gefährdung der Mitgliederbelange sollen sie zur Information der BaFin verpflichtet sein (§ 62 Abs. 3 GenG-E).
Die Voraussetzungen für die Verleihung und den Entzug des Prüfungsrechts sollen präzisiert werden. Die Zuverlässigkeit der Vorstandsmitglieder von Prüfungsverbänden soll stärker geprüft werden. Die Qualitätskontrolle soll auf Gründungsgutachten ausgeweitet werden, und Prüfungsverbände sollen der Aufsichtsbehörde Prüfungsberichte über die Qualitätsprüfung übersenden müssen (§ 63a, § 63e GenG-E).
In diesem Zuge sollen auch Tatbestandsmerkmale für Spitzenverbände legaldefiniert werden (§ 64c GenG-E).
Mitglieder, die keine Unternehmer sind, sollen der Genossenschaft keine Vollmacht zur Zeichnung weiterer Geschäftsanteile erteilen dürfen (§ 15b Abs. 2 GenG-E). Diese Maßnahme zielt darauf ab, unseriöse Geschäftsmodelle zu erschweren, bei denen Verbraucher durch Vollmachten zu weiteren Einlagen verpflichtet werden.
Genossenschaftsrecht im Umbruch: Eine kritische Bestandsaufnahme des Referentenentwurfs
Der Referentenentwurf enthält zahlreiche begrüßenswerte Ansätze zur Modernisierung des Genossenschaftsrechts. Dennoch werfen einige der geplanten Regelungen Fragen hinsichtlich ihrer praktischen Umsetzbarkeit und möglicher unbeabsichtigter Konsequenzen auf. Es scheint, als sei der Gesetzgeber hier und da über das Ziel hinausgeschossen oder habe die Realität der genossenschaftlichen Praxis nur unzureichend erfasst.
Die Tücken der Mindestmitgliederzahl (§ 4 GenG-E)
Die geplante Regelung, dass juristische Personen oder Personengesellschaften bei der Feststellung der Mindestmitgliederzahl unter bestimmten Umständen nicht berücksichtigt werden, könnte dazu führen, dass diese zu Mitgliedern zweiter Klasse werden. Diese Regelung birgt das Risiko, das Wesen einer juristischen Person oder Personengesellschaft als eigenständigen Träger von Rechten und Pflichten zu konterkarieren. Dies könnte dem Ziel, die Genossenschaft zu stärken, entgegenstehen.
Bürokratie-Booster statt -Bremse: Die Verordnungsermächtigung (§ 11 Abs. 5 GenG-E)
Die geplante Ermächtigung des Ministeriums, durch Rechtsverordnung nähere Bestimmungen zu den Angaben in der gutachtlichen Äußerung des Prüfungsverbandes zu treffen, könnte zu mehr statt weniger Bürokratie führen. Die bestehenden Regelungen erscheinen für die Praxis ausreichend. Eine weitere Regulierungsebene könnte den
Die Gefahr ist groß, dass hier ein weiterer administrativer Aufwand geschaffen wird, der den Gründungsprozess eher verlangsamt als beschleunigt – ein klassischer Fall von Bürokratiebelastung statt -entlastung.
Die Krux mit den Vollmachten und dem "Verbraucher" (§ 15b Abs. 2 GenG-E)
Die geplante Regelung, dass Mitglieder, die nicht als Unternehmer gelten, der Genossenschaft keine Vollmacht zur Zeichnung weiterer Geschäftsanteile erteilen dürfen, könnte in der Praxis zu Rechtsunsicherheiten führen. Die Abgrenzung zwischen Unternehmer und Verbraucher kann im Einzelfall sehr komplex sein. Dies könnte die Eigenkapitalausstattung von Genossenschaften beeinträchtigen und zu zusätzlichem Prüfungs- und Beratungsaufwand führen.
Mitgliederdarlehen: Ein Papiertiger bleibt ein Papiertiger (§ 21b GenG-E)
Die Regelungen zu Mitgliederdarlehen gemäß § 21b GenG spielen in der bisherigen Beratungspraxis kaum eine Rolle. Genossenschaften empfinden die bestehenden Vorschriften als zu komplex und nicht praxistauglich. Die nun geplanten Änderungen dürften an dieser Einschätzung wenig ändern und kaum zur vielbeschworenen Bürokratieentlastung beitragen.
Es scheint, als würde hier an einem Instrument gefeilt, das in der Praxis ohnehin kaum genutzt wird, während andere, drängendere Probleme ungelöst bleiben.
Weisungsgebundenheit des Vorstands: Ein Wachstumskiller? (§ 27 GenG-E)
Die geplante Anhebung der Grenze für die Weisungsgebundenheit des Vorstands durch die Generalversammlung von 20 auf 1.500 Mitglieder könnte die Handlungsfähigkeit größerer Genossenschaften einschränken. Es stellt sich die Frage, wie sich dies mit dem Prinzip der eigenverantwortlichen Geschäftsführung verträgt und welche haftungsrechtlichen Folgen entstehen könnten. Es besteht sogar die Gefahr, dass Genossenschaften bewusst ein Wachstum über 1.499 Mitglieder vermeiden, um haftungsrechtliche Probleme zu umgehen. Doch dies steht dem erklärten Ziel der Stärkung der genossenschaftlichen Rechtsform diametral entgegen.
Auch das Aufsichtsorgan könnte sich durch eine solche Regelung in seiner Überwachungsfunktion geschwächt sehen.
Die Mitgliederliste: E-Mail-Adressen und Kontrollillusion (§ 31 GenG-E)
Die Neufassung von § 31 GenG, die eine erleichterte Einsichtnahme in die Mitgliederliste und die Übermittlung von E-Mail-Adressen für Minderheitenrechte vorsieht, wirft praktische Fragen auf. Zwar mag es ein Bedürfnis geben, über E-Mail-Adressen zu verfügen, doch besteht derzeit keine gesetzliche Verpflichtung für Genossenschaften, diese in der Mitgliederliste zu führen. Der Referentenentwurf lässt offen, ob hier eine solche Verpflichtung geschaffen werden soll, was eine erhebliche Neuerung wäre.
Zudem ist die beabsichtigte Löschpflicht für die empfangenden Mitglieder nach Zweckerreichung kaum kontrollierbar. Die Genossenschaft hat keine Möglichkeit zu überprüfen, ob die Daten tatsächlich gelöscht wurden. Diese Norm hat somit eher den Charakter eines frommen Wunsches als einer durchsetzbaren Regelung und läuft insoweit ins Leere.
Protokoll der Generalversammlung: Formale Widersprüche und praktische Hürden (§ 47 GenG-E)
Die angedachte Änderung von § 47 GenG, die das Protokoll der Generalversammlung der Textform unterwerfen soll, ist zwar ein Schritt in Richtung Digitalisierung, doch die gleichzeitige Forderung nach Unterschrift oder elektronischer Signatur nach § 126a BGB erscheint widersprüchlich. Wenn ein rein elektronisches Protokoll ohne qualifizierte elektronische Signatur erstellt werden soll, kann diese Differenzierung den angestrebten Bürokratieabbau konterkarieren. Hier bedarf es einer klaren Linie, um die Entbürokratisierung tatsächlich zu erreichen.
Des Weiteren sollte § 47 Abs. 1 S. 4 GenG präzisiert werden. Der aktuelle Wortlaut, der seit der "Corona-Gesetzgebung" im GenG steht, könnte so interpretiert werden, dass bei Versammlungen mit mehreren Beschlussfassungen für jeden Beschluss ein eigenes Verzeichnis der "mitwirkenden" Mitglieder erstellt werden müsste. Dies wäre ein unnötiger administrativer Aufwand. Eine klarere Formulierung, die auf die Teilnahme an der Versammlung abstellt, wäre hier zielführender.
Ausschluss unbekannt verzogener Mitglieder: Anpassungsbedarf bei der Formulierung (§ 68 Abs. 3 GenG-E)
Die geplante Einfügung eines neuen § 68 Absatz 3 GenG zur Erleichterung der Zustellung bei unbekannt verzogenen Mitgliedern ist grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings weichen die genossenschaftlichen Mustersatzungen regelmäßig vom geplanten Wortlaut ab: Sie sehen einen Ausschlussgrund vor, wenn "sein dauerhafter Aufenthaltsort unbekannt ist", nicht wenn das Mitglied "unbekannt verzogen" ist.
Eine Anpassung der gesetzlichen Formulierung an die gängige Praxis wäre hier sinnvoll, um Auslegungsschwierigkeiten zu vermeiden und die Rechtssicherheit zu erhöhen.
Fazit
Der Referentenentwurf markiert einen ambitionierten Schritt zur Modernisierung des Genossenschaftsrechts. Die Schwerpunkte auf Digitalisierung, Attraktivitätssteigerung und Missbrauchsverhinderung sind grundsätzlich begrüßenswert. Allerdings zeigen sich bei genauerer Betrachtung einige Punkte, die in der Praxis zu Herausforderungen und Rechtsunsicherheiten führen könnten. Zudem wurden wichtige Chancen für eine umfassendere Reform offenbar nicht genutzt. Insbesondere enthält der Entwurf wenig wirklich Neues zur praxisrelevanten Digitalisierung, was nicht ohnehin bereits in vielen Satzungen der Genossenschaften enthalten ist.
Die Genossenschaft als Rechtsform erlebt in den letzten Jahren eine Renaissance. Der Gesetzentwurf bietet die Chance, diese positive Entwicklung zu unterstützen und die Genossenschaft als moderne, digitale und zugleich gemeinwohlorientierte Rechtsform zu stärken. Es bleibt zu hoffen, dass die notwendigen Anpassungen vorgenommen werden, um die identifizierten Schwachstellen zu beseitigen und ein modernes, praxistaugliches Genossenschaftsrecht zu schaffen.
Es gilt, im weiteren Gesetzgebungsverfahren konkrete, praxistaugliche und rechtssichere Lösungen herbeizuführen, die sowohl Verwaltungserleichterungen ermöglichen als auch den guten Ruf der Genossenschaftsform bewahren. Wir verfolgen die weitere Entwicklung des Gesetzgebungsverfahrens und werden Sie über Neuigkeiten sowie über Beratungs- und Schulungsangebote zu diesem Thema informieren.