28. November 2025
3-4 Min.

Bau-Turbo 2025: Was die BauGB‑Novelle für Planung, Genehmigung und Lärmschutz bedeutet

ImmoR

Auf einen Blick

  • § 246e BauGB erlaubt bis 31.12.2030 weitreichende Abweichungen zugunsten von Wohnraum – zwingend mit Zustimmung der Gemeinde (§ 36a BauGB).
  • Erweiterte Flexibilität: § 31 Abs. 3 BauGB (Befreiungen zugunsten Wohnungsbau) und § 34 Abs. 3b BauGB (Abweichung vom Einfügen im Innenbereich).
  • Lärmschutz neu gedacht: § 9 Abs. 1 Nr. 23a BauGB gestattet in begründeten Fällen Abweichungen von der TA Lärm; § 216a BauGB schützt Bestandsbetriebe bei fehlerhaften Plänen.
  • Verlängerungen: § 201a BauGB (angespannter Wohnungsmarkt) bis 31.12.2031, § 250 BauGB (Umwandlungsschutz) bis 31.12.2030.
 
Sachverhalt

Das Gesetz zur Beschleunigung des Wohnungsbaus und der Wohnraumsicherung („Bau-Turbo“) wurde am 17. Oktober 2025 vom Bundesrat beschlossen (BR-Drs. 546/25). Ziel der Bundesregierung ist es, mit diesem Gesetz die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum zu erleichtern und die entsprechenden Verfahren zu beschleunigen. Der Deutsche Bundestag hatte den Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen bereits am 9. Oktober 2025 angenommen (BT-Drs. 21/781 neu). Das „Bau-Turbo“-Gesetz trat am 30. Oktober 2025 in Kraft. Es wurde am 29. Oktober 2025 im Bundesgesetzblatt verkündet und soll den Wohnungsbau beschleunigen (BGBl. 2025 I Nr. 257). Die Gemeinden erhalten erleichterte und schnellere Verfahren für den Wohnungsbau, die auch Abweichungen von bisherigen Bebauungsplänen erlauben können, sofern die Gemeinde zustimmt und keine erheblichen Umweltauswirkungen entstehen.

 
Rechtliche Bewertung

Der Gesetzgeber reagiert auf die angespannte Wohnraumsituation mit einem Bündel bauplanungsrechtlicher Erleichterungen. Herzstück ist die befristete Sonderregelung des § 246e BauGB („Bau‑Turbo“), die bis zum 31. Dezember 2030 – gleichsam als Experimentierklausel – Abweichungen von Vorschriften des BauGB und darauf beruhenden Verordnungen zugunsten des Wohnungsbaus erlaubt. Zwingende Voraussetzung ist stets die Zustimmung der Gemeinde (§ 36a BauGB); sie darf die Zustimmung nach ihren städtebaulichen Vorstellungen erteilen, versagen oder unter Bedingungen (insbesondere per städtebaulichem Vertrag) erteilen. Unterbleibt die Versagung, greift die Zustimmungsfiktion nach zwei Monaten (§ 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB i.V.m. § 36a Abs. 1 Satz 4 BauGB).

Zentrales Instrument: § 246e BauGB (befristete Sonderregelung für Wohnungsbau)

§ 246e BauGB erlaubt bis 31.12.2030 Abweichungen „in erforderlichem Umfang“ von bauplanungsrechtlichen Vorgaben einschließlich Festsetzungen von Bebauungsplänen und BauNVO für Vorhaben, die Wohnraum schaffen. Erfasst sind die Errichtung von Wohngebäuden, die Erweiterung/Änderung/Erneuerung rechtmäßig errichteter Gebäude, soweit dadurch neue Wohnungen entstehen oder Wohnraum reaktiviert wird, sowie Nutzungsänderungen zu Wohnzwecken einschließlich hierfür erforderlicher baulicher Anpassungen. Unabdingbare Voraussetzung ist die ausdrückliche Zustimmung der Gemeinde nach § 36a BauGB. Diese Zustimmung ist kein bloßer Rechtskontrollakt wie das Einvernehmen nach § 36 BauGB, sondern eine eigenständige planungsersetzende Ermessensentscheidung zur Wahrung der kommunalen Planungshoheit.

Im Außenbereich ist § 246e BauGB nur eingeschränkt anwendbar: zulässig sind Wohnvorhaben im räumlichen Zusammenhang mit beplanten oder im Zusammenhang bebauten Bereichen (§ 246e Abs. 3 BauGB). Nach den Materialien ist jenseits von etwa 100 Metern Abstand regelmäßig kein räumlicher Zusammenhang mehr gegeben. Naturschutzrechtliche Eingriffsregelungen sind zu beachten (§ 18 Abs. 2, 3 BNatSchG).

Erweiterte Abweichungs- und Befreiungsinstrumente im Regelrecht 
  • § 31 Abs. 3 BauGB: Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans können mit Zustimmung der Gemeinde zugunsten des Wohnungsbaus nun auch „in mehreren vergleichbaren Fällen“ erteilt werden; der bisherige enge Einzelfallvorbehalt wird gelockert, bleibt aber durch die Prüfung öffentlicher Belange und Nachbarinteressen eingerahmt. Eine Befreiung ist insbesondere unzulässig bei voraussichtlich zusätzlichen erheblichen Umweltauswirkungen (SUP-Umgehungsverbot).
  • § 34 Abs. 3b BauGB: Im unbeplanten Innenbereich kann bei Wohngebäuden – mit Zustimmung der Gemeinde – vom Einfügensgebot abgewichen werden (z.B. Blockinnenentwicklung, Aufstockungen, Bauen in zweiter Reihe). Voraussetzung ist jedoch, dass die Abweichungen städtebaulich vertretbar und mit öffentlichen Belangen vereinbar sind sowie nachbarlichen Interessen gewahrt werden.
  • § 36a BauGB regelt das Zustimmungsverfahren der Gemeinde einheitlich: Die Zustimmung ist zwingende Zulassungsvoraussetzung auch dann, wenn die Gemeinde Bauaufsichtsbehörde ist; sie kann unter Bedingungen erteilt werden; eine kurze freiwillige Öffentlichkeitsbeteiligung ist möglich und verlängert die Entscheidungsfrist um deren Dauer; die Zustimmung wird im Streitfall nur inzident im Verfahren gegen die Baugenehmigung überprüft.
Lärmkonflikte: erweiterte planerische Festsetzungen und abgesicherte Fehlerfolgen
  • § 9 Abs. 1 Nr. 23 Buchst. a Doppelbuchst. aa BauGB: Gemeinden können Immissionswerte und Emissionskontingente festsetzen und in begründeten Fällen von der TA Lärm abweichen. § 216a BauGB regelt die Fehlerfolgen, wenn ein Plan mit TA‑Lärm‑Abweichungen nachträglich für unwirksam erklärt wird.
  • § 216a BauGB: Die neue Fehlerfolgenregel des § 216a BauGB schützt bestehende gewerbliche/industrielle Anlagen vor nachträglichen Verschärfungen, wenn ein Bebauungsplan mit TA‑Lärm‑Abweichungen später für unwirksam erklärt wird: Lärmminderungsanordnungen sind nur im zumutbaren Rahmen zulässig und regelmäßig kostenneutral für den Anlagenbetreiber, weil Kosten von Gemeinde/Vorhabenträger zu tragen sind. Damit verlagert der Gesetzgeber das Risiko von Planfehlern von den Betrieben weg.
Wohnungsmarktspezifische Instrumente: Verlängerungen und Klarstellungen
  • § 201a BauGB (Bestimmung von Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt) wird bis 31.12.2031 verlängert. Die Verordnungsermächtigung der Länder bleibt damit verfügbar, um in angespannten Märkten steuernde Instrumente, etwa Vorkaufsrechte, Baugebote oder vereinfachte Befreiungen, anwenden zu können.
  • § 250 BauGB (Umwandlungsschutz) wird bis 31.12.2030 verlängert. Zusätzlich wird klargestellt, dass für die Bestandsabgrenzung im Rahmen des Genehmigungsvorbehalts der Zeitpunkt des erstmaligen Inkrafttretens der einschlägigen Landesverordnung im jeweiligen Gebiet maßgeblich ist; spätere Verlängerungen ändern den maßgeblichen Stichtag für bereits erfasste Gebiete nicht.
Verfahrens- und Umweltleitplanken

Die neuen Zulassungspfade ersetzen dort, wo ihre Voraussetzungen vorliegen, aufwändige Planverfahren. Sowohl § 246e als auch § 31 Abs. 3 BauGB setzen eine überschlägige Prüfung voraus, ob die Abweichung voraussichtlich zusätzliche erhebliche Umweltauswirkungen auslöst. Der Rechtsschutz konzentriert sich auf die Baugenehmigung; die kommunale Zustimmung ist als Zwischenentscheidung nur inzident überprüfbar. Der Gesetzgeber erwartet spürbare jährliche Entlastungen in Milliardenhöhe, vor allem durch den Wegfall zahlreicher Bebauungsplanverfahren, standardisierte Abweichungsentscheidungen und beschleunigte Nachverdichtungen; dem stehen nicht bezifferbare Risiken vermehrter Anfechtungen von Baugenehmigungen gegenüber.

 
Fazit

Die Gesetzesänderung des BauGB verschiebt die Zulässigkeitsprüfung zugunsten schneller Wohnraumschaffung vom förmlichen Planverfahren in gesteuerte Einzelfallentscheidungen mit starker kommunaler Zustimmungskomponente. Ob der Bau-Turbo tatsächlich einen nachhaltigen Durchbruch bringt oder lediglich als kurzfristige Übergangslösung dient, wird sich in den kommenden Monaten in den Rathäusern, bei den Bauaufsichtsbehörden und auf den Baustellen zeigen.