25. September 2025
2-3 Min.

EnWG-Novelle 2025: Ein Balanceakt zwischen Marktstabilität, Verbraucherschutz und Bürokratie

ImmoR

Auf einen Blick

  • Neue Pflichten für Lieferanten: Stromlieferanten werden zur Entwicklung von Absicherungsstrategien (Hedging) verpflichtet. Große Versorger müssen zudem künftig Festpreisverträge mit einer Laufzeit von mindestens einem Jahr anbieten.

  • Stärkung der Verbraucherrechte: Die Novelle erweitert die Informationspflichten bei Verträgen, präzisiert die Regelungen zu Versorgungsunterbrechungen und schafft mit dem „Energy Sharing“ eine neue Möglichkeit zur gemeinsamen Nutzung von Strom aus erneuerbaren Energien.

  • Beschleunigter Ausbau der Infrastruktur: Die Errichtung und der Betrieb von Energiespeichern und Verteilnetzen werden als im „überragenden öffentlichen Interesse“ liegend eingestuft, was ihnen in Planungs- und Genehmigungsverfahren einen Vorrang einräumt.

  • Gemischtes Bild beim Bürokratieabbau: Während einige Regelungen, wie die gesetzliche Inzidenzkontrolle bei Klagen, für Entlastung sorgen, führen zahlreiche neue Daten- und Informationspflichten zu erheblichem Mehraufwand für die Energiewirtschaft.


Die Bundesregierung hat am 6. August 2025 den lang erwarteten Gesetzentwurf zur Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) und weiterer energierechtlicher Vorschriften auf den Weg gebracht. Die Novelle ist eine Reaktion auf neue EU-Vorgaben, die Erfahrungen aus der Energiekrise und die Notwendigkeit, den Umbau der Energieinfrastruktur zur Erreichung der Klimaneutralität bis 2045 zu beschleunigen. Der Entwurf enthält weitreichende Änderungen, die sowohl Energieversorger als auch Verbraucher und Projektentwickler betreffen.

Der Hintergrund der Novelle

Der Gesetzentwurf dient primär der Umsetzung europarechtlicher Vorgaben, insbesondere der novellierten Strombinnenmarktrichtlinie ((EU) 2024/1711) und der Gasrichtlinie ((EU) 2024/1788). Diese zielen darauf ab, den Verbraucherschutz zu stärken und die Teilhabe am Energiemarkt zu fördern.

Gleichzeitig reagiert der Gesetzgeber auf die Lehren aus der Energiepreiskrise der vergangenen Jahre. Die Pleiten einiger Energiediscounter haben gezeigt, dass die wirtschaftliche Stabilität von Lieferanten eine entscheidende Voraussetzung für die Versorgungssicherheit ist. Maßnahmen zur Risikobegrenzung sollen daher gesetzlich verankert werden.

Ein weiterer zentraler Treiber ist die Notwendigkeit, den Ausbau der erneuerbaren Energien und der dafür erforderlichen Infrastruktur (Netze, Speicher) massiv zu beschleunigen, um die Klimaziele für 2045 zu erreichen. Planungs- und Genehmigungsverfahren sollen daher weiter gestrafft werden.

Die wesentlichen Inhalte der Novelle

Der Entwurf umfasst eine Vielzahl von Änderungen im EnWG und anderen Gesetzen. Die praxisrelevantesten Neuregelungen sind:

1. Pflichten für Stromlieferanten zur Marktstabilisierung

Nach dem neuen § 5 Abs. 4a EnWG-E werden Stromlieferanten, die Haushaltskunden beliefern, verpflichtet, angemessene Absicherungsstrategien zu entwickeln. Ziel ist es, das Risiko von Preisschwankungen am Großhandelsmarkt für die wirtschaftliche Stabilität der Lieferverträge zu begrenzen. Die Bundesnetzagentur (BNetzA) erhält die Befugnis, diese Strategien zu überprüfen und bei Bedarf Anpassungen zu verlangen. Dies stellt einen erheblichen Eingriff in die unternehmerische Beschaffungsstrategie dar.

2. Stärkung der Verbraucherrechte und neue Vertragsmodelle
  • Festpreisverträge (§ 41a EnWG-E): Stromlieferanten mit mehr als 200.000 Letztverbrauchern müssen künftig neben dynamischen Tarifen auch Festpreisverträge mit einer Mindestlaufzeit von zwölf Monaten anbieten. Der Festpreis muss sich dabei jedoch nur auf den vom Versorger beeinflussbaren Preisanteil beziehen; staatlich veranlasste Preisbestandteile (z. B. Steuern, Umlagen) können weiterhin angepasst werden.

  • Transparenz und Information: Die vorvertraglichen Informationspflichten werden erweitert. Lieferanten müssen detailliert über Preisbestandteile, Sonderangebote und die Risiken der jeweiligen Vertragsart aufklären.

  • Schutz bei Versorgungsunterbrechung (§§ 41f, 41g EnWG-E): Die Regelungen zum Schutz von Haushaltskunden bei Zahlungsverzug werden präzisiert und direkt im EnWG verankert. Dies umfasst klare Voraussetzungen für eine Sperrung, die Pflicht zum Angebot von Abwendungsvereinbarungen und die Möglichkeit für Grundversorger, in bestimmten Fällen Sozialhilfeträger zu informieren, um eine Unterbrechung zu vermeiden.

3. Einführung des „Energy Sharing“

Mit § 42c EnWG-E wird eine gesetzliche Grundlage für die gemeinsame Nutzung von Strom aus erneuerbaren Energien geschaffen. Mehrere Letztverbraucher (ausgenommen große Unternehmen) können Strom aus dezentralen Anlagen auch unter Nutzung des öffentlichen Netzes gemeinsam verbrauchen. Die Umsetzung ist komplex, da sie eine bilanzielle Abwicklung über das Netz erfordert und die beteiligten Akteure Verträge über die Nutzung und Aufteilung abschließen müssen. Die Netzbetreiber werden verpflichtet, die technischen Voraussetzungen hierfür zu schaffen, was über eine zentrale Internetplattform (§ 20b EnWG-E) erfolgen soll.

4. Beschleunigung des Infrastrukturausbaus

Die Novelle stärkt die Position von Energieinfrastrukturprojekten in Genehmigungsverfahren:

  • Energiespeicher (§ 11c EnWG-E): Der beschleunigte Ausbau von Energiespeicheranlagen wird als vorrangiger Belang in Schutzgüterabwägungen verankert. Dies verleiht ihnen bis zum Erreichen der Klimaneutralität einen Abwägungsvorrang, was insbesondere die Genehmigung im Außenbereich erleichtern dürfte.

  • Verteilnetze (§ 14d Abs. 10 EnWG-E): Auch der Ausbau von Elektrizitätsverteilernetzen wird in den Rang eines überragenden öffentlichen Interesses gehoben.

  • Vereinfachung von Planungsverfahren (§ 43b EnWG-E): Für Umweltgutachten wird eine Aktualitätsvermutung eingeführt. Daten, die nicht älter als fünf Jahre sind, gelten als aktuell, was aufwendige und teure Nachkartierungen vermeiden kann.

Fazit

Die EnWG-Novelle 2025 bringt weitreichende Veränderungen mit sich, die für fast alle Akteure der Energiewirtschaft Handlungsbedarf auslösen.

  • Für Energieversorger: Sie müssen ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Lieferverträge umfassend prüfen und anpassen. Dies betrifft insbesondere die neuen Pflichten zum Angebot von Festpreisverträgen, die erweiterten Informationspflichten und die geänderten Regelungen bei Preisanpassungen. Zudem ist die eigene Beschaffungs- und Risikomanagementstrategie gemäß § 5 Abs. 4a EnWG-E kritisch zu hinterfragen und zu dokumentieren.

  • Für Projektentwickler und Anlagenbetreiber: Die Aufwertung von Speichern und Verteilnetzen im Planungsrecht (§ 11c, § 14d EnWG-E) ist ein starkes Signal und verbessert die Genehmigungschancen. Das neue Modell des „Energy Sharing“ (§ 42c EnWG-E) eröffnet Geschäftsmodelle, erfordert aber eine sorgfältige vertragliche und technische Gestaltung.

  • Wichtiger Kritikpunkt bleibt ungelöst: Trotz der umfassenden Änderungen lässt der Entwurf eine dringend notwendige Präzisierung des Kundenanlagenbegriffs vermissen. Seit der restriktiven Auslegung durch den Bundesgerichtshof (BGH) herrscht hier erhebliche Rechtsunsicherheit, die zahlreiche Quartierskonzepte und Projekte zur Eigenversorgung gefährdet. Betreiber von Arealnetzen laufen Gefahr, ungewollt als regulierte Netzbetreiber eingestuft zu werden. Hier besteht weiterhin dringender gesetzgeberischer Handlungsbedarf.

Die Novelle ist ein entscheidender, wenn auch komplexer Schritt in der Transformation des Energiemarktes. Wir analysieren für Sie die konkreten Auswirkungen auf Ihr Geschäftsmodell, prüfen Ihre Verträge auf Anpassungsbedarf und unterstützen Sie dabei, die neuen rechtlichen Rahmenbedingungen optimal für sich zu nutzen.

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