23. Oktober 2025
3-4 Min.

OLG München: 150 Unterstützerunterschriften je Wahlbezirk bei Vertreterwahlen einer Genossenschaft sind zulässig

Genossenschaftsrecht

Auf einen Blick

  • Bei Wahlen zur Vertreterversammlung einer Genossenschaft sind allen Wahlberechtigten gleichwertige Möglichkeiten der Mitwirkung an der Kandidatenaufstellung zu gewährleisten. Die Aufteilung des Geschäftsbereichs in mehrere Wahlbezirke sowie die Verknüpfung eines Wahlvorschlags mit der Unterstützung mehrerer Mitglieder sind zulässig, sofern hierdurch das Mitwirkungsrecht der Mitglieder an der Kandidatenaufstellung nicht unzumutbar erschwert wird.

  • Die Anforderung von 150 Unterstützungsunterschriften für einen Wahlvorschlag stellt jedenfalls dann keine unzumutbare Beschränkung des Vorschlagsrechts dar, wenn dies lediglich 0,58 % der Mitgliedschaft entspricht.

  • Bei der Beurteilung der Zulässigkeit von Unterstützerunterschriften ist zu berücksichtigen, dass jedem Mitglied nach § 31 Abs. 1 S. 1 GenG ein Anspruch auf Einsicht in das Mitgliederverzeichnis der Genossenschaft zusteht.

  • § 43a Abs. 4 S. 6 GenG, wonach in jedem Fall 150 Mitglieder zur Einreichung eines Wahlvorschlags ausreichen, bezieht sich auf den einzelnen Wahlvorschlag, nicht auf die Genossenschaft in ihrer Gesamtheit.


Die Wahlordnung einer großen Genossenschaft darf Wahlbezirke vorsehen und von Mitgliedern eingebrachte Wahlvorschläge je Bezirk an 150 Unterstützerunterschriften knüpfen. Das OLG München bestätigt: Weder werden elementare Wahlgrundsätze verletzt noch § 43a Abs. 4 Satz 6 GenG überschritten. Entscheidend ist das Verhältnis im kleinsten Wahlbezirk; bei 26.084 Mitgliedern und 150 Unterschriften (0,58 %) liegt keine unzumutbare Hürde vor. Zudem stärken Einsichts- und Kommunikationsrechte der Mitglieder (§§ 30, 31 GenG) die Chancengleichheit, und die Differenzierung zwischen Vorschlägen des Wahlausschusses und von Mitgliedern ist zulässig.

Sachverhalt

Eine eingetragene Genossenschaft mit 317.283 Mitgliedern (Bankgeschäft im Raum München/Oberbayern) lässt die Mitgliederrechte durch eine Vertreterversammlung ausüben. Die Vertreterwahl erfolgt als Listenwahl auf Grundlage einer Wahlordnung. Eine Online-Vertreterversammlung stimmte am 10.12.2020 einer geänderten Wahlordnung zu. Nach § 7 Abs. 2 Satz 3 WO müssen von Mitgliedern eingereichte Wahlvorschläge je Wahlbezirk von mindestens 150 dort wahlberechtigten Mitgliedern unterstützt werden. Für die Wahl 2021 legte der Vorstand zehn Wahlbezirke fest (kleinster Bezirk: 26.084, größter: 39.744 Mitglieder).

Ein Mitglied und Vertreter, zugleich Vorsitzender eines vereinsrechtlichen Zusammenschlusses („die-freie-liste.org e.V.“), griff den Zustimmungsbeschluss zur Wahlordnung mit der Nichtigkeitsfeststellungsklage an. Er rügte, die 150er-Hürde pro Wahlbezirk verstoße gegen § 43a Abs. 4 Satz 6 GenG („150“ als Höchstzahl), führe faktisch zu einer Vervielfachung der Unterstützeranforderung bei mehreren Bezirken und sei unzumutbar. Das LG München I wies die Klage ab (Urteilvom 08.09.2022 – 5 HK O 5571/21); hiergegen legte der Kläger Berufung zum OLG München ein.

Entscheidungsgründe

Das OLG München (7. Zivilsenat) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 21.05.2025 – 7 U 442/23 e). Die Klage war nach Antragsumstellung als Nichtigkeitsfeststellung (§ 249 Abs. 1 S. 1 AktG analog) zulässig, in der Sache aber unbegründet.

Der von der Vertreterversammlung gebilligte § 7 Abs. 2 Satz 3 der Wahlordnung, der für „andere“ Wahlvorschläge je Wahlbezirk 150 Unterstützerunterschriften verlangt, verstößt weder gegen elementare Wahlgrundsätze noch gegen § 43a Abs. 4 S. 6, 7 GenG. Maßgeblich ist der vom BVerfG entwickelte Grundsatz der allgemeinen und gleichen Wahl, der auch das Wahlvorschlagsrecht erfasst, jedoch sachliche Differenzierungen zulässt, wenn sie das Stimmgewicht sichern und einer Stimmenzersplitterung vorbeugen. Nach der gefestigten BGH‑Rechtsprechung sind sowohl die Bildung von Wahlbezirken als auch bezirksbezogene Unterstützerquoren zulässig, solange das Vorschlagsrecht nicht unzumutbar erschwert wird.

Im konkreten Fall ist das Quorum zumutbar: Im kleinsten Wahlbezirk (26.084 Mitglieder) entsprechen 150 Unterstützer lediglich 0,58 %. Das liegt deutlich unter den in den Gesetzesmaterialien zu § 43a Abs. 4 S. 6 GenG herangezogenen 10 % der Mindestmitgliederzahl und wahrt die Chancen auch kleinerer Gruppen. Zudem sichern Mitgliederrechte die Chancengleichheit in der Vorbereitung: § 31 GenG gewährt Einsicht und Abschriften der Mitgliederliste zur Kontaktaufnahme; aus Treuepflicht und Gleichbehandlungsgrundsatz folgt, dass Aushänge in Geschäftsstellen sowie die Ansprache von Mitgliedern/Kunden in Filialen zu Wahlzwecken zu ermöglichen sind. Die Differenzierung zwischen Wahlvorschlägen des Wahlausschusses (ohne Unterstützerpflicht) und von Mitgliedern (mit Unterstützerquorum) ist sachlich gerechtfertigt, weil der Wahlausschuss Eignung und Ernsthaftigkeit prüft. § 43a Abs. 4 S. 6 GenG bezieht die „150“ auf den einzelnen Wahlvorschlag, nicht auf die Genossenschaft insgesamt; bei zulässiger Wahlbezirksbildung ist daher ein Quorum je Bezirk statthaft. Einwände gegen Anzahl oder Zuschnitt der Bezirke sind primär im Wege der Wahlanfechtung zu klären. Eine Privilegierung von Mitgliederzusammenschlüssen (Listen) wäre mit der Wahlgleichheit unvereinbar.

Im Ergebnis verstößt § 7 Abs. 2 Satz 3 WO weder gegen elementare Wahlgrundsätze noch gegen § 43a Abs. 4 Sätze 6, 7 GenG. Der Zustimmungsbeschluss ist nichtigkeitsfest, die Berufung unbegründet.

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